Warum tut sich der Verkehr so schwer mit der Nachhaltigkeit?
Der Verkehr ist verantwortlich für rund ein Drittel der Treibhausgasemissionen. Wie andere Sektoren auch (Industrie, Heizung) soll er seinen Beitrag zum Klimaschutz leisten und bis 2040 treibhausgasneutral werden. Dabei versagt er bisher vollständig.
Woran liegt das? Ist die Autoindustrie schuld oder die Politik? Oder sind es doch wir Verbraucher, die am liebsten zum SUV greifen, um damit Brötchen zu holen? Oder dank Ryanair zum Wochenendtrip nach London jetten? Was müsste sich ändern, damit Mobilität wirklich umweltverträglich wird? Die Elektrifizierung allein wird nicht ausreichen.
Länder wie Dänemark, Holland oder die Schweiz sind uns beim nachhaltigen Verkehr um Längen voraus, aber auch Städte wie Paris, Barcelona, Freiburg oder Karlsruhe erzielen Erfolge und drängen das Auto zurück. Was machen sie besser?
Über diese Fragen diskutieren ein Verkehrswissenschaftler, ein Autohändler, ein Aktivist für nachhaltigen Verkehr und ein Filmemacher, der gegen einen Straßenneubau kämpft.
Sind Staus ein Umweltproblem und ist deshalb weiterer Straßenbau nötig? Oder sind sie der einzige Faktor, der das Verkehrswachstum begrenzen kann?
Darüber diskutieren:
Prof. Jochen Eckert, Verkehrsökologe Hochschule Karlsruhe
Roland Erndle, Fahrzeughändler, Kommunalpolitiker
Klaus-Peter Karger, Filmemacher, BI „Nordzubringer-nein-danke“
Hermann Krafft, Verkehrsclub Deutschland
Matthias Gastel, Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestages und bahnpolitischer
Sprecher
Moderation: Dr. Gerhard Bronner
Pressebericht
Mobilitätswende eine Sackgasse?
- „Anstöße“ diskutieren Verkehrspolitik
- Frage der Umsetzbarkeit
- Kritik an regionaler Verkehrsplanung
Schaut man sich die Klimabilanz an, so verfehlt der Verkehrssektor regelmäßig die gesteckten Ziele. Woran liegt das? Ist die Mobilitätswende auf dem Holzweg? Diesem Problem gingen im Rahmen der „Anstöße“ einige Verkehrsexperten nach. Auf die Frage, was die Wissenschaft zur Problemlösung beitragen könne, führte Prof. Jochen Eckert, Verkehrsökologe an der Hochschule Karlsruhe, aus, dass sie Verständnis schaffen und Entscheidungsträger beraten könne. Mobilität sei ein berechtigtes Grundbedürfnis, deren Konzepte aber auch tragfähig sein müssten. Angesichts der Umweltbelastungen durch die gegenwärtige Kfz-Nutzung führe an Einschränkungen im Straßenverkehr z.B. durch einen Ausbau des ÖPNV kein Weg vorbei. In diesem Zusammenhang verwies Eckert auf Umfragen, nach denen sich der Schienenverkehr weitaus attraktiver darstellt als im Bewusstsein der Öffentlichkeit verankert sei.
Diese Position unterstützte auch Matthias Gastel, Mitglied im Verkehrsausschuss des Bundestages und bahnpolitischer Fraktionssprecher, mit dem Hinweis, dass sich im vergangenen Bundeshaushalt die Investitionen in die Deutsche Bahn verdoppelt hätten, womit eine weitere Verschlechterung der Bahn-Infrastruktur verhindert worden sei. Ziel sei natürlich, zu einer Verbesserung zu kommen! Außerdem hätten die Kommunen bei der Verkehrsplanung vor Ort deutlich mehr Kompetenzen erhalten. Technisch gesehen sei die Mobilitätswende in Deutschland kein Problem. Schwieriger sei es, bei den Menschen eine Verhaltensänderung herbeizuführen.
Hermann Krafft, Mitglied im Verkehrsclub Deutschland und BUND sowie prominenter Gegner der zweiten Dögginger Brückenfahrbahn, befürwortet das Prinzip von „Zuckerbrot und Peitsche“, um die Verkehrsteilnehmer zu mehr Verantwortung zu bewegen. Seiner Meinung nach hätten Kraftfahrzeuge z.B. über die Steuerpolitik (Diesel) und das Dienstwagenprivileg zu viel Unterstützung erhalten. Diese Tendenz müsse man umkehren und z.B. den Parkraum in Innenstädten verknappen und die Gebühren erhöhen. Vermehrte Staus könnten durchaus eine heilsame Wirkung entfalten, so dass die im Moment zu beobachtende Ausdünnung der MOVE-Fahrpläne aufgrund zu geringer Auslastung der Busse wieder rückgängig gemacht werden könnte.
Roland Erndle, Fahrzeughändler und Kommunalpolitiker, sieht sich als Mittler zwischen Autohersteller und Verbraucher. Auf die Frage nach den Wünschen seiner Kunden gibt er zu, dass vielen potentiellen Käufern E-Autos schlicht zu teuer sind. Sie würden oft als Zweitwagen gekauft, was auf eine finanziell eher gut situierte Käuferschicht schließen lasse. Als Händler bemängelt er, dass bei Leasingverträgen von E-Autos das Restwertrisiko beim Verkäufer liege, was angesichts des geringen Wiederverkaufswerts ein großes Risiko darstelle. Davon abgesehen verweist Erndle auf Dänemark, wo eine Erstzulassungsgebühr für PKWs die gewünschten Kaufentscheidungen steuern solle. Er befürworte aber eher finanzielle Anreize wie z.B. eine Senkung der Stromsteuer und den Ausbau von Ladepunkten, um den gewünschten Verkauf von E-Autos zu steigern.
Klaus Peter Karger, Villinger Filmemacher, Journalist und Mitglied der „Bürgerbewegung gegen den Lückenschluss“ kritisierte die regionale Verkehrsplanung im Raum Villingen-Schwenningen und legte ausführlich dar, warum seine Organisation es ablehnt, dass im Rahmen eines Autobahnzubringers 76 Mill. Euro für eine 6 km lange Straße („Lückenschluss“) ausgegeben werden sollen, die darüber hinaus durch ein Naturschutzgebiet führt und landwirtschaftlich genutzte Flächen zerschneidet. Den Kritikern, die mit dem Hinweis E-Autos ablehnen, das für die Herstellung der Batterien notwendige Kobalt werde in postkolonialer Tradition unter menschenunwürdigen Bedingungen in Afrika gewonnen, hielt Karger entgegen, dass neuartige Batterien auf Kobalt verzichten könnten und auch die Produktion von herkömmlichen Verbrennerfahrzeugen mit kritisch zu bewertenden Rohstoffen erfolge.
Bei der anschließenden Diskussionsrunde im vollbesetzten Saal der evangelischen Gemeinde Donaueschingen wurden zahlreiche weitere Erfahrungsberichte und Vorschläge angesprochen, wie eine Verkehrswende beschleunigt werden könnte. Ein Ausbau der Radwege, vermehrte Angebote von Car-Sharing, Weiterführung des Deutschland-Tickets, eine generelle Fahrpreisermäßigung für junge Leute und sogar ein autofreies Wochenende wurden vorgeschlagen, um Mobilität jenseits des Individualverkehrs erlebbar zu machen. Bernd Heinowski

vlnr.: MdB Gastel, K.P. Karger, R. Erndle, Dr. Bronner, Prof. Eckart, H. Krafft